• Iris Christine Aue

    Ich lass dich nicht mehr los

    29. Januar – 21. Februar 2013

    Iris Christine Aue

    Ich lass dich nicht mehr los

    29. Januar – 21. Februar 2013
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    1010 Wien, Felderstraße 6–8
    1010 Wien, Felderstraße 6–8

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    Mit entwaffnender Ehrlichkeit – Keine Zeit für falsche Posen
    „ich lass dich nicht mehr los“
    „Ich gehe jener Form der Gewalt nach, die der französische Soziologe Pierre Bourdieu als "symbolische Gewalt" beschrieben hat. Ihre Ausübung erfolgt nicht über sichtbare, körperliche Züchtigung.“ Ein Gefühl des Unbehagens bezeichnet Iris Christine Aue als den Ausgangspunkt ihrer raumgreifenden, ins Skulpturale vordringenden Zeichnungen der Ausstellung „ich lass dich nicht mehr los“. Die Präsentation setzt sich aus Werken mit aussagekräftigen, gezielt ambivalent gesetzten Titeln wie „meine Liebsten“ oder „ich lass dir deine Freiheit“ zusammen. Der von Pierre Bourdieu geprägte Begriff der „symbolischen Gewalt“ wurde vor allem in der Geschlechtersoziologie diskutiert und thematisiert verkannte und damit anerkannte Gewalt, die sich von der „nackten Gewalt“ unterscheidet. Vögel als Symbol der Freiheit stehen im Werk von Iris Christine Aue für den Versuch, das richtige Maß an Freiheit und Bindung zu finden.
    Wie kann ich den anderen für mich gewinnen und ihn an mich binden und was sind die dahinter steckenden Motive, Handlungen und Strategien? In den künstlerischen Äußerungen und der inhaltlichen Konzeption von Iris Christine Aues Werk gelangt ein realpolitischer Anspruch zum Ausdruck. Eigene Beziehungs- und Liebeserfahrungen, die Hinterfragung von Macht und latenter Gewalt in persönlichen Verhältnissen, in Paarbeziehungen oder Eltern-Kind-Beziehungen, eine Analyse unserer Beziehungskompetenz fließen als für die Ausführung relevanter Subtext ein. Und damit jene Fragestellungen, die ansonsten nicht explizit an die Oberfläche treten oder in der Kunst thematisiert werden. Während die Wechselspiele zwischen Macht und Beziehungen bislang eher unter machttheoretischen, ökonomischen und genderpolitischen Gesichtspunkten verhandelt wurden, ist im Werk von Iris Christine Aue eine ethische Dimension mit ausschlaggebend für ihren Versuch, jener sanften Gewalt auf die Spur zu kommen, die subtil emotional und psychisch manipulierend unser Leben infiltriert. Ihre künstlerische Arbeit zieht Iris Christine Aue dafür als Untersuchungsinstrument heran. Ihr Motivvokabular setzt sich mit dem Überschreiten von Grenzen, dem Eindringen in die Intimsphäre, dem Stumm- und Sprachlosmachen, mit durch Wiederholungen sich verschärfenden Vorwürfen und Bestrafungen, der Übertragung unbewusster Informationen durch Blickkontakt auseinander. In ihrer szenischen, figurativen Umsetzung verschwendet Iris Christine Aue keine Zeit für falsche Posen oder künstlerisches Anpassungsgehabe, sondern setzt zu jenem Umkehrschluss an, wo Kunst als Operationsfeld im Erproben neuer Methoden das intime Format der Zeichnung überschreitet und in die dritte Dimension ausgreift. Die Beziehung zum Kunstobjekt wie die zum Anderen lässt sich hier nicht auf ein konsumistisches Verfügungsverhältnis reduzieren. Kunstproduktion, inhaltliche Konzeption und ästhetische Erfahrung werden zum Inbegriff einer so vorgebrachten Sorge gegenüber einer Vernachlässigung existentieller Bedürfnisse durch unsere zunehmend von digitalen Medien und von Internetforen als soziale Plattformen dominierten Kultur.
    Dabei kreist Iris Christine Aue um ansonsten meist unartikulierte oder unausgesprochen Überlegungen über Verhaltensweisen von Verführung oder Sichentziehen: „Wie bringe ich dich dazu, das zu machen, was ich will?“ oder „Welche Strategien existieren, um den eigenen Willen durchzusetzen?“ Es handelt sich um Situationen, die nicht als offene aggressive Angriffe, Bedrohungen oder sichtbare Gewalt durch Misshandlung ausgetragen werden, sondern im Verborgenen auf subtile Weise unsere zwischenmenschlichen Beziehungen beeinflussen und gestalten. Dies Form der Übergriffe gelangt durch abschätzige Bemerkungen, Drohungen, emotionale Erpressung, ein Hochziehen der Augenbrauen, durch ein mildes, beschwichtigendes Lächeln oder Seufzen an der richtigen Stelle oder durch ein Wiederholen der immer gleichen Worte und Sätze, die sich ins Gedächtnis und in den Körper des anderen einschreiben oder durch die Konditionierung von Verhalten durch gezielt eingesetztes Lob oder Anerkennung zum Ausdruck. Gängige Sätze, mit welchen jeder von uns mit größter Wahrscheinlichkeit bereits oftmals konfrontiert wurde, zieht sie dafür exemplarisch heran wie: „Wenn du mich wirklich lieben würdest...“ oder „Kannst du nicht einmal etwas für mich tun...“ oder „Ich will doch nur dein Bestes...“. Es sind Grenzüberschreitungen, die kaum bemerkbar sind und sich durch Wiederholung verstärken, zum Terror ausweiten und die individuelle Intimsphäre verletzen. Iris Christine Aue stellt beziehungsreich die dahinter steckenden Motive zur Diskussion wie Angst vor Verlust, Kontrollsucht, den Wunsch nach Anerkennung, die Artikulierung einer Stärke und Macht als Reaktion auf die eigene Ohnmacht. Trotz Boom von Sachbüchern, die Lebensberatung in jeder Lage anbieten, zählen gerade die zwischenmenschlichen Bereiche, soziale Fähigkeiten des Miteinanders zu den Herausforderungen unserer Gegenwart. Insofern gestaltet sich die Werke von Iris Christine Aue zum Manifest einer Zornigen, die jene emanzipatorischen Ideen mit der politische Kunst heute in Zusammenhang gebracht wird, auf alltägliche Umgangsformen anwendet. Emotionaler Terror und Gegenterror, die Zwiespältigkeit dessen was heute unter dem Imperativ einer Potenz zur Selbstverwirklichung in den Medien kursiert, geraten mit in den Fokus.
    Analog zum Inhalt verfährt Iris Christine Aue in der formalen Umsetzung subtil. Zum Einsatz kommen keine starken, schrillen oder schreienden Farbtöne, die Farben sind zurückhaltend teils in Pastelltönen gehalten. Die Zeichnungen der dargestellten Mädchen und Frauen wirken zart, geradezu nett und anziehend in Anspielung darauf, dass Macht und Gewalt auch in Beziehungen oft unter der Oberfläche von außen nicht sichtbar sind. Als Material verwendet sie Papier, das gebogen, geknickt, zerknüllt und geschnitten werden kann und dadurch verschiedene skulpturale Formgebungen ermöglicht. Die 2-dimensionale Zeichnung wird zum 3-dimensionalen allansichtigen Objekt, verlässt den imaginären Raum und dringt in den realen vor. Dafür wendet Iris Christine Aue eine weitere spezielle Technik an, nämlich die des Nähens, des manuellen Zusammennähens der einzelnen Teile, die sich bewegen und auch jederzeit wieder austauschbar sind. Das Durchbohren des Papiers hat etwas verletzendes, bezieht sich auf den Inhalt, ist gleichzeitig Ausdruck eines aggressiven und doch unauffälligen Aktes. Anders als vorschnell angenommen ist die Wahl der Technik allerdings nicht feministisch motiviert. Iris Christine Aue versteht sich als Zeichnerin im erweiterten Sinn, sieht Papier als skulpturales Material. Zunächst produziert sie Cut-Outs aus Papier, näht diese mit der Hand zu Figuren zusammen, artikuliert durch Arme, Oberkörper und Beine entsprechende Gesten und Haltungen. Mit Farb- und Bleistift geht sie ins Detail, beschreibt Gesichter, Haar und Hände. In ihrer räumlichen Umsetzung der Zeichnung verfährt sie ebenfalls skulptural, bezieht Fragen der Konstruktion, der Umgebung und des Environments mit ein. Eine Wirklichkeit, die ein anderer Realismus ist, wird entdeckt. Die Ausschließlichkeit im Einsatz direkter Mittel ergibt hier den Moment der Verdichtung. Das Zauberwort heißt Konzentration. Die Kunst wird in den Dienst genommen, sie ist nicht ganz frei von, aber ganz nah bei ihrer Autorin. Die obsessiven Seinsfragen fallen zurück auf das Medium und reizen es. In der von Iris Christine Aue angewandten Technik des manuellen Zusammennähens der Zeichnungen gerät gleichzeitig eine Auseinandersetzung und Hinterfragung der ansonsten anzutreffenden medialen Selbstvergewisserung ins Spiel. Die Zeichnung verfügt über metaphorische Qualitäten, die das Rohe, das Natürliche zulässt, das Verarbeitete und Weiterverarbeitete sichtbar werden lässt. Damit ist kein Vorher-Nachher angesprochen, sondern zwei Zustände. Vom Beiläufigen zum Grundsätzlichen. Diesem Ansprechen des Grundsätzlichen kommt die natürliche Konzentrationsfähigkeit der Zeichnung entgegen.
    Die Kunst wird zur Zeitlupe, das Leben steht für einen Moment still, hält den Atem an und sucht den Schlüssel für jene Voraussetzung der Unmittelbarkeit zu finden. In der durch die installative Ausrichtung bewirkten Distanz bleibt Zeit, die Zeit zu messen die Zeichnung hinterlässt Spuren, das Aha registriert jenen Augenblick. Die Installation spannt so einen Korridor durch den Raum, testet räumliche Konstellationen und Anordnungen aus der Fläche heraus.
    Ursula Maria Probst

    Kurzbiographie
    Iris Christine Aue geboren 1983 in Wien | 2010 Kunst høg - skolen i Oslo (KHiO), Norwegen | 2004–2010 Bildende Kunst, Malerei und Grafik an der Kunstuniveristät Linz | Diplomabschluss mit Auszeichnung

    Ausstellungen/Projekte (Auswahl)
    2012 vertraut-fremd fremd-vertraut, Energie AG, Linz | Tegnebiennale 2012, Kvadraturen in Olso, Norwegen | demons and pearls, Dokumentationszentrum St. Pölten | Nicht nur ein Bild, sondern eine ganze Welt, Kunstraum NÖ, Wien | Wir packen in unseren Koffer..., Aus stellungsprojekt der VETTERN, Conner Contemporary Art Gallery, Washington D.C. | kleine Stiche immerzu, Turmzimmer der Ursulinenkirche, Linz (solo) |2011 Die Fahnen hissen, Gemeinschaftsprojekt mit den kumpaninnen, Asperner Seestadt, Wien | Tschip tschip tschip, Arsenal Wien |2010 kleine Stiche immerzu, Kunstuniversität Linz (solo) | Wir bauen uns ein Publikum, Gemeinschaftsprojekt mit den kumpaninnen, Salzamt Linz | Save the last dance for me, Pavilion, Oslo, Norwegen, gemeinsam mit Ottar Karlsen |2009 damit ihr mal seht, Kunstquartier, Wien (solo) | Hirsche, Flugzeuge, Königinnen, Sekretäre, Kunstuniversität Linz |2008 Zeichenstunde, Kunstuniversität Linz | 2007 Künstlerküche, Stift Schlierbach, OÖ |2006 freistellen, gemeinsam mit Severin Weiser im Rahmen eines Artist in Residence-Aufent haltes, Kunstraum St.Virgil, Salzburg | inszenieren und innehalten, Galerie der Kath. Hochschulgemeinde, Linz (solo) | 2005  Toys are us, im Rahmen von Best off 05, Lentos Kunstmuseum Linz

    Preise/Stipendien/Mitgliedschaften
    2011 Emanuel und Sofie Fohn Stipendium | Diözesan Kunstpreis | Klemens Brosch Preis | Sussmann-Stipendium |2010 Theodor Körner Preis | Mitglied in den Künstlerinnengruppen die kumaninnen und DIE VETTERN

    Kontakt:

    iris@aue.at | www.iris-christine-aue.com

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