Die Sinalco-Epoche
Essen, Trinken, Konsumieren nach 1945
12. Mai – 25. September 2005
Die Sinalco-Epoche
Essen, Trinken, Konsumieren nach 1945
Erbsensuppe, Hawaii-Schnitzel, Tiramisu und Vollkornkekse – so könnte ein Menü mit zeittypischen Speisen der Nachkriegsjahrzehnte aussehen. Erbsen symbolisieren den kargen Speisezettel der durch Hunger, Mangelwirtschaft, Hilfslieferungen, Hamster- und Schwarzmarktwesen geprägten ersten Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg.
Das Hawaii-Schnitzel steht für den erfolgreichen Wiederaufbau und den bescheidenen Wohlstand der 1950er und 1960er Jahre, der vereinzelte exotische Zutaten wie Ananas und einen regelmäßigeren Fleischkonsum ermöglichte. Ab den 1970er Jahren ist die tägliche Ernährung durch eine zunehmende Vielfalt und Internationalisierung gekennzeichnet – Spezialitäten verschiedener Länderküchen entwickelten sich zu Modespeisen.
Die 1980er Jahre brachten insofern eine Neuorientierung, als nun nicht mehr Masse und Üppigkeit des Essens im Vordergrund standen, sondern verstärkt Aspekte der Gesundheit, Fitness und Schönheit Gewicht erhielten.
Parallel zu den Essgewohnheiten veränderte sich auch das Einkaufsverhalten in augenfälliger Weise: der Greißler am Eck wurde durch Selbstbedienungsläden mit umfangreichem Angebot abgelöst, und beim Konsumieren ging es zunehmend auch um die Erlebnisqualitäten des Einkaufens.
Im individuellen wie im kollektiven Gedächtnis ist die Entwicklung Österreichs nach 1945 sehr stark mit kulinarischen Fragen verknüpft (Stichworte: Hunger in der unmittelbaren Nachkriegszeit, Esswelle, Reblaus-Diplomatie ...). Die "Erfolgsstory" Zweite Republik spiegelt sich ganz wesentlich in den in quantitativer und qualitativer Hinsicht gewandelten Ernährungs- und Konsummöglichkeiten. Die Teilhabe am Konsum und an der wachsenden Produktivität wurde zur wichtigsten Legitimationsbasis der Nachkriegsgesellschaft. Es entstanden neue Formen der Konsumkultur und es veränderte sich die Ausgabenstruktur der Haushalte, wofür eine deutliche Verringerung der anteiligen Ausgaben für Nahrungs- und Genussmittel charakteristisch ist.
Die Ausstellung versteht sich als Beitrag des Wien Museums zum Jubiläumsjahr 2005 (50 Jahre Staatsvertrag, 60 Jahre Zweite Republik) und ist zugleich Teil eines Jahresschwerpunktes mit zeitgeschichtlichen Themen. Der Fokus auf die Alltags- und Sozialgeschichte soll es ermöglichen, die gesellschaftliche und kulturelle Entwicklung nach 1945 aus der Perspektive der eigenen Erfahrungsbereiche zu reflektieren.
Ernährung und Konsum sind zentrale Bereiche des täglichen Lebens, dabei aber stets in gesamtgesellschaftliche Strukturen und Veränderungsprozesse eingebunden. So wird etwa die zunehmende Beschleunigung sämtlicher Lebensbereiche als Folge umfassender Modernisierungsprozesse auch an den Ernährungs- und Konsumgewohnheiten sichtbar: Espresso-Bars, Fast Food-Lokale, Küchenmaschinen als "Tempomaschinen", Supermärkte oder Lebensmittelautomaten sind charakteristische Phänomene, die in der Ausstellung thematisiert werden.
Ebenso in den Blick genommen wird die Veränderung der häuslichen Tischkultur, die zunehmende Bedeutung von Markenprodukten und Identifikationsangeboten in der Reklame, die Konkurrenz zwischen heimischen und ausländischen Produkten (zum Beispiel: "Kracherl" versus das "Amerikawasser" Coca Cola oder das deutsche Erfrischungsgetränk Sinalco) sowie der Umgang mit Mangel einerseits und mit Überfluss andererseits. Im Mittelpunkt steht dabei die Ernährungs- und Konsumgeschichte der Großstadt Wien.
Kuratorin:
Susanne Breuss