Lagerbestände. Was machen wir mit der Kunst aus der Nazi-Zeit?
Doron Rabinovici
Die Kunst, die unter der Kontrolle des nazistischen Regimes entstehen sollte, wurde zum Teil der Barbarei. Sie hatte Begleitmusik, wenn nicht sogar Taktgeber für Terror, Gewalt und Vernichtung zu sein. Die Vision war die Götterdämmerung, die endgültige Schlacht zwischen dem einzig Guten und dem wahrhaft Bösen. Krieg und Massenmord sollten den Weg zum Weltenheil ebnen. Das war der Fluchtpunkt jenes Glaubens, es müsse ein Blutbad geben, damit danach Volk und Heimat bereinigt weiterbestehen können. Es ging um alles oder nichts, bis zu schlechter Letzt Alles zum Nichts geworden war. Der Nazismus brachte das Land in jene Gefahr, vor der er warnte. Der Untergang war von Beginn an das Ziel. Die Apokalypse wurde angestrebt.
Alles, was hier noch schöntun wollte, war im besten Fall nichts als Beschönigung und in der schlimmsten Form die Verherrlichung totaler Herrschaft. Die öligen Anrufungen einer primitiven Zünftigkeit und die pathetischen Heldenposen eines martialischen Vaterlandes gehörten zusammen. Die Bilder von einer unberührten Heimat jenseits gesellschaftlicher Moderne schienen umso trauter, je größer die Gefahr war, die von den Feinden rundum dräute. Leitmotiv war die Heimsuchung in jeder Bedeutung des Wortes.
Die Rede ist dabei nicht nur von jener sogenannten Nazikunst, die durch einschlägige Parteisymbole oder Führerkult abgestempelt ist. Nicht jedes Bild, das damals im Sinne der Reichskulturkammer hervorgebracht werden durfte, war jener eindeutige Schund, auf dem Hakenkreuz, Schwert und Eichenlaub prangten. Jene Werke, die nun von den Machthabern eingefordert wurden, waren nicht der vollkommene Bruch mit allem bisher Gesehenen und Geschehenen. Sie bedeuteten nicht jene deutsche Revolution, von der die Diktatur voller Pathos schwärmte. Sie waren eher eine Regression, ein geistiger Rückschlag zur Idealisierung völkischer Ausrichtung. Dieser kulturelle Atavismus hatte jedoch schon lange vorher an Kraft gewonnen.
Wie bequem und tröstlich wäre es, könnte das, was vor der Machtübernahme geschaffen wurde, von dem unterschieden werden, was unter der Tyrannei entstand. Dann müsste nur die einzig wahre Kunst von der regelrechten Nichtkunst abgegrenzt werden. Aber wer die Ausstellung „Auf Linie“ besucht, wer den erhellenden Katalog der Kuratorinnen Ingrid Holzschuh und Sabine Plakolm-Forsthuber liest, erkennt, wie vergeblich es wäre, die Ära des Nazismus von dem Davor und dem Danach abkapseln zu wollen. Wie denn auch? Die personellen und politischen Kontinuitäten sind nicht zu übersehen. In Österreich hatten die sogenannten „Illegalen“, wie die Anhänger des Nationalsozialismus im Austrofaschismus genannt wurden, bereits vor dem März 1938 wichtige Posten im Kunstbereich eingenommen.
Das, was gemeinhin als „Anschluss“ bezeichnet wird, war, so lehrt die Historiographie, ein dreifacher Prozess, der von außen, von unten und von oben erfolgte. Jubel empfing die einmarschierenden deutschen Truppen am Sonntag, den 12. März 1938, in Österreich. Nie wieder stieß die Wehrmacht bei Überschreitung nationaler Grenzen auf solch hartnäckige Begeisterung. Schon Wochen davor, ab dem 19. Februar 1938 waren große Nazidemonstrationen durch die Straßen des Landes gezogen. Graz war lange vor dem Einmarsch der Wehrmacht zu einer Hochburg des Nationalsozialismus geworden. Tausende marschierten in jenen Tagen mit Fackeln und Hakenkreuzfahnen durch die Innenstadt. Selbst vom Rathaus wehte die Flagge des sogenannten Dritten Reichs. Am 1. März war der Innenminister, Arthur Seyß-Inquart, bei einer solchen Kundgebung dabei und die New York Times hielt fest, wie fünfzehntausend Nazis trotz Verbot an dem Innenminister vorbei defilierten, während er seine eigene Anordnung missachtete und den Hitlergruß zeigte.
Das Verlangen nach faschistischer Ästhetik war nicht bloß an das politische Programm des Deutschen Reiches gekoppelt. Die Faszination der Macht und des Völkischen fand seit Jahren breiten Anklang. Diese Sehnsucht abzubilden, war durchaus angesehen. Josef Müllner etwa sollte 1944 in die Gottbegnadetenliste, die im Auftrag von Adolf Hitler und Joseph Goebbels erstellt wurde, aufgenommen werden. Aber hatte nicht schon sein Siegfriedskopf, jenes Kriegerdenkmal in der Wiener Universität, das 1923 eingeweiht wurde, der Vorstellung vom arischen Heroen entsprochen, die später auch alle Parteigliederungen – von der HJ bis hin zur SS – in ihrem Blutrausch befeuerte? Aufgestoßen wäre ihnen allenfalls, dass– den Forschungen von Adam Wandruszka zufolge – der jüdische Mediziner Georg Politzer für das Haupt des germanischen Heroenjünglings Modell gestanden sein soll. War nicht sogar Müllners Monument für Karl Lueger, das er noch 1913 entworfen hatte, genau deshalb gelobt worden, weil es formal aus der Zeit gefallen zu sein schien und somit – neben dem offensichtlichen Zug zum autoritär Paternalistischem – genau jenem Anachronismus entsprach, der zum Leitbild für die monströsen Skulpturen des Dritten Reiches werden sollte? Finden sich nicht in den Heldenstatuen des Roten Wiens Stilformen, die zeigen, wie sehr eine Ästhetik, die in faschistischen Systemen noch dominant werden sollten, der damaligen Mode und dem, was unscharf als Zeitgeist bezeichnet wird, entsprachen? Ist der stalinistische Realismus nicht auch von einschlägigen Bildgestalten heroischer Muskelmänner geprägt? Auf diese Parallelen hinzuweisen, soll nicht bedeuten, dass die politischen und formalen Unterschiede zwischen den verschiedenen Richtungen negiert werden sollen. Es geht darum, die Brüche und die Kontinuitäten im Blick zu bewahren.
An Künstlern, die gar nicht gezwungen werden mussten, gegenüber der Willkür des Regimes willfährig zu sein, mangelte es nicht. Was könnte das besser verdeutlichen als jenes nazistische Manifest, das der Bildhauer Wilhelm Frass 1935 im österreichischen Staatsdenkmal des unbekannten Soldaten verbarg? Die Krypta Österreichs als Nazischrein des Deutschen Reichs. Das Ehrenmonument als Hochverrat an der eigenen Republik. Bereits im November 1937 eröffnete – wie auch in der Ausstellung zu diesem Symposium vermerkt – der österreichische Bundeskanzler Kurt Schuschnigg die Ausstellung „Italiens Stadtbaukunst im faschistischen Regime“ in der Secession. Präsident war hier seit 1936 der bekennende Nationalsozialist Alexander Popp. Im Frühling 1937 hatte Popp die Schau „Deutsche Baukunst, Deutsche Plastik am Reichssportfeld in Berlin“ präsentiert. Zur selben Zeit wurden im Pariser Jeu de Paume in der „Schau Österreichischer Kunst“ alle jene Strömungen gezeigt, die im Austrofaschismus nicht mehr zu sehen waren. In diesem Jahr 1937 machte das Österreichische Museum für Kunst und Industrie es noch einmal möglich, die Werke von Oskar Kokoschka in einer Retrospektive zu bestaunen. In Berlin waren seine Arbeiten schon dem Rufmord ausgesetzt.
Im Deutschen Reich tourte nun bald die Femeschau „Entartete Kunst“ von einer Stadt zur anderen. Der Präsident der NS-Reichskammer der bildenden Künste, Adolf Ziegler, eröffnete im Juli 1937 dieses Panoptikum der Diffamierung mit den Worten: „Wir sehen um uns herum diese Ausgeburten des Wahnsinns, der Frechheit, des Nichtskönnertums und der Entartung. Uns allen verursacht das Erschütterung und Ekel.“ Und er fügte hinzu: „Es fehlt mir hier die Zeit, um alles das Ihnen, meine Volksgenossen, vorführen zu können, was diese Burschen im Auftrag und als Schrittmacher des internationalen Judentums an Verbrechen sich in der deutschen Kunst erlaubten.“ In den nächsten vier Monaten besuchten zwei Millionen Menschen die Schau, um sich diesem Gruselkabinett hinzugeben. Im Paris des Frühjahrs 1938 richteten wiederum André Breton, Paul Eluard und auch Marcel Duchamp die Exposition Internationale du Surréalisme aus.
Das aber bedeutet, es gilt eben nicht nur jene zu sehen, die bereit waren, Kunst im Sinne des Regimes zu machen. Es gab auf der einen Seite diejenigen, die ihre eigentliche Bestimmung darin sahen, das Völkische sich auszumalen und alles Fremdartige zu punzieren, zudem nicht wenige, die sich bereit erklärten, ihre ganzen Fähigkeiten, soweit ihnen möglich, von nun an im Dienst der neuen Strukturen zu stellen, dann noch viele, die ihre Stile in aller Stille den Richtlinien anzupassen wussten oder es zumindest versuchten. Aber zugleich sollten nicht diejenigen vergessen werden, die alle Angebote zum Kompromiss ablehnten. Oskar Kokoschka beugte sich etwa nicht. Er ging ins Exil. Bereits lange vor der Machtergreifung. Ist es nicht bezeichnend, dass es nicht Deutschland war, dem er entfloh. Er verließ 1934 das Wien des Austrofaschismus ins demokratische Prag, von wo er – um den Nazis zu entkommen – 1938 nach London entwich. Das in Erinnerung zu rufen, ist in Österreich wichtig, denn nach 1945 wurde hier nicht nur das Verleugnen der heimischen Nazis zum allgemeinen Konsens dieses Landes, sondern jahrzehntelang konnte auch das rotschwarze Stillhalteabkommen gegenüber der Diktatur von Dollfuß und Schuschnigg nicht durchbrochen werden.
Es war eine Heimsuchung. Zumal für jene Verfolgten und Flüchtlinge, die nicht so berühmt wie Kokoschka waren – so etwa Erich Schmid, jener aufstrebende junge Maler, der im März 38 zum jüdischen Flüchtling und später zum Widerstandskämpfer der Resistance wurde und dem sein Freund Hans Mayer, besser bekannt unter dem Namen Jean Améry, mit seinem Roman Lefeu oder der Abbruch ein literarisches Denkmal setzte. Améry beschrieb, wie Schmid auch nach dem Krieg nie wieder zu seinem einstigen künstlerischen Status fand, denn während er zuvor für die Mörder zu modern gewesen war, hatte er mittlerweile längst den Anschluss an die zeitgenössische Avantgarde verloren.
Ich erinnere mich auch an einen Freund unserer Familie, an Heinrich Sussmann, den Maler, Illustrator, Widerstandskämpfer und Überlebenden, der jüngst in der Installation von Arye Wachsmuth und Sophie Lillie in der Künstlerhaus-Ausstellung Dispossession Erwähnung fand. Sussmann war 1914 zehn Jahre alt, da erreichte er Wien als jüdisches Flüchtlingskind aus Tarnopol. Er wurde in den zwanziger Jahren zum Künstler, ging nach Berlin, bis er 1933 flüchten musste, nachdem die Gestapo sein Atelier und seine Werke zerstört hatte. Er konnte seine Arbeit fortsetzen, heiratete seine Frau Anni, ehe nach dem sogenannten Anschluss Österreichs seine Eltern ums Leben kamen und wiederum alles, was er geschaffen hatte, vernichtet wurde. Das Paar floh nach Paris, doch er verlor nach Ausbruch des Krieges erneut alles, was entstanden war, kämpfte sodann für Frankreich, wurde als Kommunist in der Resistance zum Meisterfälscher für Ausweise und Dokumente von Verfolgten, bis Anni und er verhaftet, gefoltert und nach Auschwitz deportiert wurden. Sie kam dort mit ihrem gemeinsamen Sohn nieder und musste sodann zusehen, wie Josef Mengele den Neugeborenen in den Ofen warf. Die Nationalsozialisten hatten dem Künstler Sussmann nicht nur sein halbes Lebenswerk, nicht nur jene Jahre seiner Schaffenskraft gestohlen, in denen er im Kampf gegen sie aufgegangen war, sondern ich frage mich, wie der Überlebende, den ich als Bub kennenlernen durfte, überhaupt noch fähig war nach all dem, was ihm widerfahren war, sich Neues auszumalen. Aber vielleicht ist dieser Gedanke obszön, denn im Grunde mag kaum nachvollziehbar sein, wie Anni und Heinrich Sussmann möglich war, überhaupt weiterzuleben.
Von Adorno kennen wir den Satz: „Kulturkritik findet sich der letzten Stufe der Dialektik von Kultur und Barbarei gegenüber: nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, und das frisst auch die Erkenntnis an, die ausspricht, warum es unmöglich ward, heute Gedichte zu schreiben.“ Adornos Gedanke richtet sich nicht nur gegen die Kunst, sondern vielmehr gegen sich selbst. Er verkündet kein Verbot, sondern erklärt die Ohnmacht, zeigt einen Verlust an und beklagt ihn. Später setzte Adorno seinem Satz hinzu: „Das perennierende Leiden hat so viel Recht auf Ausdruck wie der Gemarterte zu brüllen; darum mag falsch gewesen sein, nach Auschwitz ließe sich kein Gedicht mehr schreiben. Nicht falsch aber ist die minder kulturelle Frage, ob nach Auschwitz noch sich leben lasse, ob vollends es dürfe, wer zufällig entrann und rechtens hätte umgebracht werden müssen.“ Während ich monatelang über diesen Vortrag hier nachdachte, beschäftigte ich mich mit Szymon Laks, dem wunderbaren Komponisten polnisch jüdischer Herkunft, der in Birkenau als Leiter des Männerorchesters überlebte und in seinem Buch überzeugend darlegt, was „Musik in Auschwitz“ – so der Titel – und was Auschwitz für Musik bedeutete. Laks räumt mit allen Illusionen auf. Er tut nicht so, als wären für ihn die Symphonien und Märsche im Lager Kunst, Trost oder ein Akt des Widerstands gewesen. Dennoch gelang ihm nach 1945 Neues, etwa – wie zum Trotz – eine heitere Oper.
Sussmann hielt an dem „Recht des Gemarteten zu brüllen“ fest. Er schuf seine Kunst nach der Befreiung gegen Auschwitz und in Erinnerung daran. Seine Kunst war immerzu – auch schon vor Auschwitz – eine Kunst für das Leben, für eine neue Vision davon. Die Kunst der Reichskulturkammer wurde hingegen für den Massenmord geschaffen.
Die vertriebenen Künstler und Künstlerinnen sollten in ihrer Heimat zur Nichtigkeit erklärt werden. Ihre Bilder waren ausgelöscht, ihre Musik verboten, ihre Bücher verbrannt worden.
Wer verbannt wird, ist das Ausgeschiedene. Er wird entsorgt wie Müll. Der Flüchtling verliert nicht nur seine Wohnung, seinen Besitz und sein Oeuvre. Um seine nackte Haut zu retten, wird er seines ganzen Daseins beraubt. Was von ihm übrigbleibt, ist Abklatsch. Er beginnt dem Schreckbild zu ähneln, das seine Feinde von ihm machen. Die Flucht ist ein Fluch, von der gesagt wird, sie sei eine Flut. Wo der Flüchtling vorbeikommt, rümpfen alle die Nase. Er verbreitet eine schlechte Atmosphäre, und niemand kann genau sagen, ob dieser Geruch ihm selbst anhaftet oder eher jenen, die gegen ihn hetzen, aber es handelt sich dabei jedenfalls um den Gestank der Angst. Wovon ich rede, ist nicht Vergangenheit. Wie oft fragten wir einander, ob das, was einst geschah, wieder passieren könnte? Während dieser Tage, da ein Krieg mit Russland eskaliert, da, wie zu lesen war, angedroht worden sein soll, für jeden getöteten russischen Soldaten zehn Zivilpersonen zu erschießen, da ganze Städte vernichtet werden und Millionen auf der Flucht sind, wird uns die Antwort deutlicher erteilt, als wir es je wissen wollten. Nichts von dem, was hier besprochen wird, ist Geschichte.
Es gab damals jene, die im Land blieben und dennoch nicht für das Regime zur Verfügung standen, sondern ihre künstlerischen Stile nicht aufgaben und nun deshalb boykottiert wurden. Gemeint sind damit nicht jene, die wie Emil Nolde zwar ihrer Kunst wegen abgelehnt wurden, doch sich dem Nazismus hinwandten. Aber wie hätte Otto Dix sich verleugnen können. Sein Standpunkt, politisch und ästhetisch, war klar. Er verlor bekanntlich im Jahr 1933 seine Professur. Sein Eigentum in Düsseldorf-Unterblick wurde zwangsversteigert. Ab 1938 durfte er nicht mehr ausstellen. 260 seiner Werke wurden aus deutschen Museen beschlagnahmt. 1939 war er vorübergehend in Haft. Käthe Kollwitz wiederum musste 1933 die Preußische Akademie der Künste verlassen. Sie durfte nicht mehr die Meisterklasse für Grafik leiten. Ab 1936 konnten ihre Werke nicht mehr öffentlich präsentiert werden.
Es lässt sich wohl kaum bestreiten – jene, die damals der Reichskulturkammer ihre Kunst weiter anboten, taten es auch auf Kosten jener anderen, deren Arbeiten nicht mehr gezeigt wurden. Jene waren nun geächtet, wurden unterdrückt, verfolgt, vertrieben oder gar ermordet– ob aus antisemitischen Gründen oder aufgrund ihrer offenen Weigerung, künstlerisch und politisch dem Regime des Nazismus mit ihren Werken zu dienen.
Es geht um Lagerbestände, um Objekte, die unter der nazistischen Herrschaft in die Museen gerieten. Und wer von denen spricht, muss immer auch diejenigen im Blick bewahren, die damals aussortiert wurden – nicht nur die Werke, sondern sogar die Menschen selbst, die miteins zu nichts als Lagerbeständen geworden waren, zu reinen Nummern in den Lagern der Mörder!
Wer nun Karriere machte, kann nicht freigesprochen werden von einer Schuld, die eine persönliche und kollektive zugleich ist. Ja, eine kollektive Schuld, weil das gemeinsame Mitmachen auch die Ächtung der vorgeblich Andersartigen und Entarteten rechtfertigte.
Aber ist es nicht wiederum ungerecht, die je verschiedenen Personen – den begeisterten Nazimaler und den Künstler, der nur um Aufträge kämpft, über einen Kamm zu scheren? Die Grenzen zwischen den Verfemten und den Angepassten verliefen ganz so eindeutig nicht. Welchen Sinn hat es Künstler wie Eisenmenger und Thorak mit solchen wie Josef Hoffmann oder Josef Dobrowski gleichzusetzen? Bekannt ist der Fall von Rudolf Belling, der 1937 mit zwei Werken – und zwar mit seinen bahnbrechenden Arbeiten „Dreiklang“ und „Kopf in Messing“– in der Ausstellung „Entartete Kunst“, und gleichzeitig mit seiner Statuette von Max Schmeling, „Der Boxer“, in der Propagandaschau „Große Deutsche Kunstausstellung“ vertreten war. Goebbels höchstpersönlich verbot die Berichterstattung über Belling als entarteten Künstler, um dann die beiden Stücke aus der Femeschau entfernen zu lassen, während die Plastik Schmelings im Haus der deutschen Kunst verblieb.
Aber eine Person wie Belling macht deutlich, wie kompliziert die Frage ist, was mit der Kunst aus der Nazizeit zu geschehen hat. Alle drei Arbeiten Bellings – die zwei, die diffamiert wurden, doch ebenso die Boxerfigur, die als Vorbild germanischen Kulturschaffens präsentiert wurde – waren bereits vor 1933 entstanden. Rudolf Belling verließ das Deutsche Reich im selben Jahr 1937 nach Istanbul. Er ging ins Exil. An Belling kann die Widersprüchlichkeit der nazistischen Kunstpolitik aufgezeigt werden.
Es geht in diesen Erörterungen eben nicht darum, die ganze Kunst, die im Deutschen Reich oder gar die Kunst von Deutschen in jener Zeit zu verwerfen, sondern zur Debatte kann überhaupt nur stehen, was im Sinne des Regimes und seiner Herrschaft entstanden ist. Es ist bezeichnend, dass die Machthaber damals von Künstlern nicht sprechen wollten, sondern stattdessen den Begriff des „Kulturschaffenden“ vorzogen. Es ging ihnen nicht um den je eigenen Ausdruck des einzelnen Individuums. Der „Kulturschaffende“ war nur noch der Diener des völkisch gemeinsamen Projekts nationaler Kultur zu sein. In der Begründung des Gesetzes über die Einrichtung der Reichskulturkammer war festgehalten: „Die Aufgabe des Staates ist es, innerhalb der Kultur schädliche Kräfte zu bekämpfen und wertvolle zu fördern, und zwar nach dem Maßstab des Verantwortungsbewusstseins für die nationale Gemeinschaft. In diesem Sinne bleibt das Kulturschaffen frei. Wohl aber ist es [...] notwendig, die Schaffenden auf allen ihren Gebieten unter der Führung des Reiches zu einer einheitlichen Willensgestaltung zusammenzufassen.“ Wen wundert’s, dass der Begriff in der DDR später auch weiterverwendet wurde? Er passte – bei allen Unterschieden – da und dort zur totalitären Programmatik.
Soll also genau diese Kunst, die an den Vorgaben der nazistischen Ideologie orientiert war, unter Verschluss bleiben? Eine solche Forderung könnte zur falschen Vorstellung verführen, sie wäre sonst gar nicht zu sehen, weil ohnehin nirgends diese Werke gezeigt würden. Aber viele der relevanten Arbeiten waren Kunst im öffentlichen Raum. Die nationalsozialistische Ästhetik war weiterhin präsent.
Gemeint sind allerdings nicht nur die Überbleibsel jener Monumente, die etwa in Berlin noch zu finden sind. Etwa der „Jüngling mit Speer“ von Bernhard Bleeker im Park am Lietzensee. Ich las, es sei hier gar nicht einmal vermerkt, dass die Plastik aus dem Jahr 1940 stammt. Interessanter noch allerdings, dass sie nicht etwa schon vor 1945 hier aufgestellt wurde, sondern erst seit 1950 an dieser Stelle im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf steht. Bleeker war bereits 1932 in die NSDAP eingetreten. Ein Gipsmodell zu seinem „Jüngling mit Speer“ war auf der Großen Deutschen Kunstausstellung ausgestellt. Im selben Jahr 1937 schuf er auch für den Essener Waldthausenpark die Figur eines „Handgranatenwerfers“, ein „Ehrenmal des R. I. R. 67“(Reserve Infanterie Regiment) und einen weiteren „Handgranatenwerfer“ für Düsseldorf. Nach 1945 wurde ein Entnazifizierungsverfahren durchgeführt, das er weitgehend unbeschadet überstand, da er bald wieder seinen gesellschaftlichen Status erlangte.
Der „Jüngling mit Speer“ ist keineswegs ein Einzelfall und das Vorkommen nazistischer Kunst ist auch nicht bloß auf öffentliche Plätze und Skulpturen, Monumente oder Prachtbauten beschränkt. Im historischen Rathaus von Wiedenbrück etwa, dem heutigen Standesamt, hängen bis heute drei Bilder aus den Jahren 1937 und 1939. Sie stammen vom Maler Hans Schmitz-Wiedenbrück, der für seine Propagandaszenen von einer im Vernichtungskrieg geeinten martialischen Volksgemeinschaft bekannt war. Berühmt etwa sein Triptychon „Arbeiter, Bauern, Soldaten“, das links einen Arbeiter, rechts einen Bauern und in der Mitte drei Soldaten mit Hakenkreuzfahne wiedergibt. Das Bild war auf der Großen Deutschen Kunstausstellung 1942 zu sehen und wurde von Adolf Hitler erstanden. Schmitz bediente gezielt den Geschmack der Reichsführung. 2016 erhob deshalb der Rechtsanwalt Paul Jesse Protest gegen die Gemälde im Wiedenbrücker Standesamt. Das gehöre nicht in ein öffentliches Gebäude, erklärte er, doch in einer Podiumsdiskussion – so berichtete die Regionalzeitung Die Glocke– wurde ihm vorgeworfen, er „gebe den ‚Schnell- und Scharfrichter“, setze das „ästhetische Fallbeil‘ an, wolle Bilder einfach nur ‚ausmüllen‘ und damit zwölf Jahre deutscher Kunstgeschichte wegfallen lasen“. Die Gemälde blieben hängen und selbst die Umbenennung der Wiedenbrücker Hans-Schmitz-Straße wurde vom zuständigen Bau-, Stadtentwicklungs-, Umwelt- und Verkehrsausschuss sowie vom Stadtrat abgelehnt. Nur auf einer Zusatztafel ist nun vermerkt, der Maler sei „umstritten, da er auch Bilder im Sinne der NS-Propaganda schuf.“ Fraglich bleibt, was mit einem solchen Beipacktext zur offiziellen Würdigung einer Person angezeigt wird. Die Ehrung durch das Straßenschild wird dadurch nicht ungeschehen gemacht. Wird mit so einer kurzen Anmerkung, die gemessen an den Verstrickungen des Künstlers ohnehin euphemistisch bleibt, die Bedeutung des Ausgezeichneten nicht noch einmal unterstrichen? Das, was nun gelesen werden kann, löscht ja nicht die vorherige Anerkennung aus. Manche, die ohnehin kein allzu großes Problem mit faschistischer Ästhetik haben, werden sich dadurch eher in ihren Anschauungen bestätigt sehen. Hier wurde nicht bloß einer, der nichts anderes als ein Kulturschaffender im Sinne des Dritten Reiches sein wollte, mit einer Verkehrsfläche bedacht, sondern danach wurde diese Person noch eigens hervorgehoben, indem festgestellt wurde, dass die Kunst, für die sie hier ausgezeichnet worden war, zwar Huldigung für das Dritte Reich war, seiner aber dennoch erinnert werde. Die Formulierung, er sei „umstritten, da er auch Bilder im Sinne der NS-Propaganda schuf“, unterstreicht jene Verlogenheit, die bereits die Werke im sogenannten Dritten Reich kennzeichnete, denn hier wird so getan, als gehörten seine trauten Darstellungen von der stramm glücklichen Familien mit ihren stockbraven Kindern oder von der Bauersfrau im Stall an der Seite eines urtümlich mächtigen Stieres – die Allegorie für Heimat und Scholle – nicht etwa ebenso zu den Inszenierungen des totalitären Systems wie die Kriegsszenen. Gezeigt werden die verschiedenen, doch aufeinander abgestimmten Aspekte einer ganzheitlichen Volksgemeinschaft, die keine Klassengegensätze, sondern nur rassische Übereinstimmungen kennen wollte. Sie widersprachen einander nicht und wer das bezweifelt, mag an das vorher bereits erwähnte Triptychon von Hans Schmitz denken, das den Arbeiter, den Bauern und die Soldaten unter dem Hakenkreuz miteinander vereint.
Jene gigantomanischen Stahlkörper, die kraftstrotzenden Männerleiber, die unverwundbar zu scheinen hatten, und die mädchenhaften Frauengestalten im Stil jener Künstler, die als Meister des deutschen Schamhaars verspottet wurden, sollten alles Elend und Leid, den Terror und die Ängste, die vom Regime ausgingen, vergessen machen. Die sportlichen Muskelgestalten und ihre rassenrein ranken gebärfreudigen Weibsbilder, die in aller Nacktheit dargeboten waren, hatten die Wirklichkeit jener zu überblenden, die mit den Essensrationierungen auskommen mussten und in Bunkern ihre Nächte verbrachten, doch vor allem stellten die arischen Heroenfiguren den Kontrast zu den ausgemergelten und entkräfteten Opfern in den Lagern und zu den Leichenbergen dar.
Die Ausstellung „Entartete Kunst“ war nur eine Femeschau unter anderen. Bereits 1936 war „Bolschewismus ohne Maske“ und dann im November 1937 „Der ewige Jude“ präsentiert worden. Alles, was „entartet“ genannt wurde, war zugleich verdächtig, kommunistisch zu sein und galt jedenfalls als „verjudet“. Jene Werke, um die es hier geht, kann ich nicht jenseits ihres Kontexts sehen.
Die Frage, wie mit der Kunst, die sich dem Nazismus andiente, umzugehen ist, wurde nach 45 auf die eine und andere Art beantwortet. Bei Wolfgang Brauneis lese ich, wie jene, die vom NS-Regime zu den Gottbegnadeten gezählt wurden, danach wieder ihre Professuren einnehmen konnten. Der Österreicher Josef Thorak war neben Arno Breker der Lieblingsbildhauer von Adolf Hitler. Die Historikerin Susanne Rolinek stellte fest, Thorak habe als künstlerischer Berater der SS-eigenen Porzellanmanufaktur Allach auf dem Gelände des Konzentrationslagers Dachau höchstpersönlich Häftlinge bei ihrer Arbeit in der Fabrik inspiziert. Die Stadt Salzburg ehrte Thorak in der Zweiten Republik, richtete ihm 1950 eine eigene Ausstellung seiner Werke aus und stellte im Zentrum zwei monumentale Skulpturen, die er in den frühen Vierzigern geschaffen hatte, auf. Sie stehen da bis heute. Auch eine Straße ist weiterhin nach ihm benannt. Allen Protesten zum Trotz. Immerhin wurden die beiden Skultpuren, die Paracelsus und Kopernikus darstellen, mit Zusatztafeln versehen, auf denen Thoraks Vergangenheit erwähnt ist. Ich frage mich nur: Womit haben eigentlich diese beiden Vorreiter moderner Wissenschaft sich eine so zwiespältige Würdigung durch einen wie Thorak verdient? Kopernikus wurde 1943 in Stein gehauen, weil er zwar deutscher Herkunft gewesen war, doch aus dem Gebiet des damaligen Polen stammte. Seine Statue sollte den Überfall der Wehrmacht rechtfertigen.
Auch im Münchner Haus der Kunst wurden 1951 Thoraks Werke ausgestellt. Er war keine Ausnahme. Einstige Künstler, die sich der nazistischen Propaganda hingegeben hatten, fanden nach 1945 ihren Platz in öffentlichen Museen. Gewiss wurden sie nicht auf der Documenta gezeigt, die gleichwohl nicht den klaren Bruch und eine mutige Aufarbeitung der nazistischen Vergangenheit wagte, wie die scharfsinnigen Darlegungen von Julia Friedrich belegen. Aber solche wie Thorak passten nicht zu den Ausstellungen jener Moderne, war aber noch präsent. Wie ist es indes zu bewerten, wenn 1952 der Kameradschaftsbund ausgerechnet Thorak damit beauftragte, das Kriegerdenkmal in Rauris zu gestalten? Glaubt irgendwer, die Wahl sei damals allein aus künstlerisch unpolitischen Gründen auf diesen Lieblingsbildhauer Hitlers gefallen? Ist nicht augenscheinlich, dass die ästhetische Entscheidung auch eine ideologische war?
Rudolf Hermann Eisenmenger, der bereits 1933 Mitglied der NSDAP geworden war und von 1939 bis 1945 dem Künstlerhaus als Präsident vorgestanden hatte, wurde 1947 wieder im Künstlerhaus aufgenommen. Bekanntlich erhielt er 1955 den Auftrag, den neuen Eisernen Vorhang für die Wiener Staatsoper zu gestalten. Der Wettbewerb soll – so stellt die Kunsthistorikerin Veronika Floch fest – intransparent abgelaufen sein. Karl Maria May, seit 1945 Präsident des Künstlerhauses, schrieb danach dem Bundesminister für Handel und Wiederaufbau, wie froh er über die Entscheidung für Eisenmenger sei, habe doch zuvor die Zeitung Die Furche gemeint: „(…) nur zwei Künstler wären dazu berufen gewesen, diesen Vorhang zu gestalten. Kokoschka, ein ehemaliger Österreicher, der, als seine Heimat in Not war, in englische Staatsbürgerschaft untergeschlüpft ist, und Chagall, ein nationalisraelischer Künstler russischer Herkunft. Ich will Ihnen, sehr verehrter Herr Minister, nur mitteilen, dass ich beim Anblick dieses österreichischen Kunstwerkes edelster Prägung tief ergriffen war. (…) Eisenmenger hat sich mit diesem Werk ein Denkmal gesetzt. Ebenso seinen Auftraggebern, aber auch dem Kunstwollen des gesamten österreichischen Volkes.“
Das Zitat zeigt auf, dass jene Gottbegnadeten nach der Befreiung vom Nationalsozialismus nur dann wieder hervorgehoben werden konnten, wenn zugleich jene, die bereits vorher verfemt und verfolgt worden waren, wiederum verhöhnt und verbannt wurden. Die Kampagnen gegen die sogenannte Entartung, gegen einen vorgeblichen Kulturbolschewismus und gegen das, was mit dem Schimpfwort des Amerikanismus bedacht wurde – kurzum gegen „Schmutz und Schund“ – waren im wiedererstandenen Österreich noch lange nicht vorbei.
In Österreich konnte mit unverdrossenerem Eifer als etwa in der Bundesrepublik jede Auseinandersetzung mit den heimischen Nazis und dem nationalsozialistischen Kulturbegriff vermieden werden. Während die amerikanischen Behörden die Bonner Republik einer strengen Reeducation unterwarfen, verfolgten sie – wie Reinhold Wagnleitner aufzeigte – in Österreich eine halbherzigere Variante der Reorientation. Die Staatsformel, nichts als Hitlers erstes Opfer gewesen zu sein, konnte mit dem Beginn des Kalten Krieges auf die Gesamtgesellschaft ausgeweitet und zu einer kollektiven Unschuldsthese für die echten Österreicher umformuliert werden. Nichts anderes ist es, was in dem oben zitierten Brief von Karl Maria May durchklingt, denn er schrieb hier einem Regierungsmitglied ganz offen und offiziell, er lehne Marc Chagall ab, und zwar wegen seiner russischen Herkunft, doch vor allem deshalb, weil er Jude war, denn nichts anderes war ja mit dem fälschlichen Zusatz „nationalisraelisch“ gemeint. Zudem galt Oskar Kokoschka, der Österreich und Deutschland wegen der Diktaturen verlassen hatte müssen, für May nur noch als ehemaliger Österreicher, während Eisenmenger, der im eigentlichen Sinne „Ehemalige“, wie ja nun alle geheißen wurden, die als unverbesserliche Nazis in Erscheinung getreten waren, nun –zumindest May zufolge – dem Kunstwollen des gesamten österreichischen Volkes entsprach.
Die nationalsozialistischen Begrifflichkeiten und Vorstellungen waren nach 1945 keineswegs überwunden. 1967 lief eine „Liga gegen entartete Kunst“, die auch sogleich von freiheitlichen Politikern unterstützt wurde, Sturm gegen das Wiener „Renner-Denkmal“ von Alfred Hrdlicka. Es ist diese postnazistische Stimmung, die erst verständlich macht, mit welchem Furor im Jahr darauf, 1968, auf die Veranstaltung „Kunst und Revolution“ im Wiener Neuen Instituts Gebäude reagiert wurde. Der Boulevard hetzte gegen die Wiener Aktionisten. Der Journalist Michael Jeannee schrieb in der Zeitung Express einen Artikel, gespickt mit den Fotos der Veranstalter. Er versprach: „Beruhigt Euch, Wiener: Die Hauptakteure sind der Polizei bekannt und werden bestraft.“ Hämisch wurde von Morddrohungen gegen die Aktivisten berichtet. Mühl, Brus und Wiener saßen etwa zwei Monate in Untersuchungshaft. Ein Geschworenengericht verurteilte Brus zur Höchststrafe von sechs Monaten. Er musste nach Berlin fliehen, um dem Gefängnis zu entgehen. Die Avantgarde brachte die Lügen jener Jahre zum Vorschein. Sie kitzelte die Wiederkehr des Verdrängten hervor und offenbar wurde, dass obszön nicht war, was gezeigt wurde, sondern was ausgeblendet worden war.
Der Blick auf diese Kampagnen gegen moderne Kunst wirkt heute befremdlich. Die Stimmung wandelte sich erst im Laufe der Siebziger allmählich. Im Jahr 1969 – knapp, bevor ich ins Gymnasium kam – waren, wenn ich mich recht entsinne, noch einige Schüler wegen ihrer Haartracht entlassen worden. Wenige Jahre später hatte die Mode uns alle ergriffen und selbst die jüngeren Lehrer trugen nun Koteletten und lange Locken. Ich erinnere mich, wie ich als Mittelschüler mit meinem Bruder ins Konzerthaus ging. Friedrich Gulda spielte ein Stück Free Jazz nach dem anderen. Immer wieder standen manche auf und verließen erzürnt den Saal, nicht ohne Türenknallen. Erst als diese Spießbürger gegangen waren, meinte Gulda, jetzt seien endlich alle Arschlöcher fort – und dann erst gab er seinen Mozart zum Besten. Ich weiß auch noch, wie Mauricio Pollini – es wird 1976 gewesen sein – im Konzertsaal „Sofferte onde serene“ für Klavier und Tonband, ein Stück von Luigi Nono, präsentierte. Das Publikum protestierte in diesem Jahr schon nicht mehr, doch danach, als er mit einer Sonate von Beethoven fortsetzte, erhielt er erst den verdienten Applaus und laut erklangen die Rufe nach Zugabe – worauf Pollini wiederkehrte und zum Erstaunen der meisten noch einmal Nono darbot. Ich war fasziniert von dieser Courage und Stärke.
In jenen siebziger Jahren konnte zumindest in Deutschland allmählich die kritische Auseinandersetzung mit der Kunst, die der nazistischen Propaganda sich angedient hatte, beginnen. Aber diese ersten Ausstellungen – etwa in Frankfurt und in München – waren sogleich auch der Beginn einer Diskussion, ob diese Werke überhaupt gezeigt werden sollten. Anders als in früheren Zeiten tobte diese Debatte nun aber nicht zwischen den Apologeten nazistischer Ästhetik und jenen, die moderne Strömungen vorzogen.
In Zweifel gezogen wurde weniger die Intention, sondern eher die Wirkung und die Gestaltung der Präsentation. Sollten die Werke aus dem Dritten Reich eine museale Aufwertung erfahren? War erkennbar gemacht worden, wie verlogen die pathetischen Widerspiegelungen der nazistischen Kunstpolitik doch war? Würden die imposanten Tableaus und gigantomanischen Plastiken nicht vielleicht eine falsche Zustimmung erfahren? Gab es womöglich gar nicht so wenige, denen dieser Stil gefallen könnte?
Jedenfalls scheuten in den Achtzigern auch manche nicht mehr davor zurück, ihre Bewunderung für Künstler, die der Nazipropaganda dienten, und für ihr Schaffen im Zeichen jenes einschlägigen Stils zu bekunden. Der Schokoladenfabrikankt, Sammler und Kunstmäzen Peter Ludwig entdeckte 1986 seine Vorliebe für Hitlers wohl berühmtesten Bildhauer, Arno Breker. Ludwig, dessen Einsatz bisher Meistern wie Picasso oder Andy Warhol gegolten hatte, ließ sich nun von jenem sogenannten Gottbegnadeten porträtieren. In einem Interview für den Spiegel erklärte Ludwig: „Es ist eine absurde Vorstellung, am 30. Januar 1933 hätte die Bildkunst aufgehört. Aber unsere Museen tun heute so.“ Er war überzeugt, es sei zu einer Wendung im Geschmack und im Zeitgeist gekommen: „Postmodern - was heißt das anders als traditionell zu sein?“ Die Kritik an seiner Entscheidung setzte er kurzerhand mit dem Vorgehen der Diktatur gegen die Moderne gleich. Damals und heute sei es falsch, manche Künstler unter einen Bann zu stellen, als dürften sie keinesfalls gezeigt werden.
Allein diese Gleichsetzung war – wie hier ausgeführt – nichts als Geschichtsklitterung. Diese Gottbegnadeten waren seit dem Ende der Vierziger niemals verfolgt oder verboten gewesen. Es gab kein Dekret, das eine Quarantäne verlangt hätte. Nicht wenige der vertriebenen Künstler und Künstlerinnen hätten mehr Grund gehabt, sich darüber zu beschweren, nicht mehr ausgestellt worden zu sein.
Für die Entscheidung, die aufgeblähten und überladenen Ungestalten eines vorgeblichen Ariertums nicht im Kunstmuseum zu präsentieren, brauchte es keine staatliche Zensur. Es genügte einfach, von dieser Megalomanie und kalten Nekrophilie ein klein wenig gelangweilt zu sein und ein wenig sogar abgestoßen, denn die pseudoklassischen Stilformen mit der Maschinentechnik des industriellen Zeitalters zu optimieren, mochte einem nicht gar so genialisch vorkommen, sondern eher banal. Manche würden wohl umgangssprachlich sagen, das sei doch keine Kunst, aber es wäre zu einfach, zu behaupten, was unter den Nazis entstand, sei einfach Unkünstlerisch gewesen. Die Kunst kam damals von der Gunst, denn als nicht entartet galt bloß, was artig sich an die Vorgaben zu halten wusste, wodurch das Schaffen keine individuell freie Äußerung mehr ermöglichte, sondern bloß ein vom Staat in Auftrag gegebenes Stück Handwerk sein sollte.
Aber dennoch war Breker nie tabu, sondern öffentlich immer zu bestaunen. Manche – etwa Jean Marais, Jean Cocteau, Salvador Dali, Ernst Fuchs, Anwar el Sadat, Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Ernst Jünger und eben auch Peter Ludwig – ließen sich von ihm porträtieren. Peter Ludwig ging es aber um eine kulturpolitische Rehabilitierung. In jenem Jahr 1986 sollte in der Bundesrepublik der Historikerstreit über die Bedeutung und Einzigartigkeit der Massenvernichtung entbrennen, weil bekanntlich einige nicht ohne Grund in Verdacht geraten waren, die Verbrechen zu relativieren. Bereits 1984 war der Essay „Kitsch und Tod. Der Widerschein des Nazismus“ erschienen. Der Historiker Saul Friedländer zeigte etwa anhand der Filme von Visconti, Fassbinder und Syberberg, welches Phantasma vom Faschismus als Inbegriff des Bösen ausging. Die Koketterie mit dem Monströsen entsprach einem Zeitgeist, dem ein Verlangen nach Entfesselung und Unterwerfung zugleich innewohnte.
Viel von dem, was den monströsen und kalten Schönheitsidealen des Regimes durchaus entsprach, errang nach 1945 in österreichischen Museen, in heimischen Galerien und auf Auktionen noch lange Siege, da war die Wehrmacht längst geschlagen. Manches davon gefällt vielen bis heute. Oft geht es dabei nicht einmal um eine besondere Begeisterung für die Ästhetik. Auch Nazidevotionalien, die keinen ästhetischen Wert beanspruchen, stoßen bei Versteigerungen auf eine eigene Vorliebe, die sich gerne nur geschichtsinteressiert gibt.
Es wäre vermessen, die künstlerischen Werke von Breker, Eisenmenger oder Thorak, bei denen eine klare ideologische Linie erkannt werden kann, mit anderen gleichzusetzen, die in jener Zeit nicht durch die einschlägigen Stilformen hervorstachen. Aber alles, was im totalitären System sich einfügte, gilt es im Kontext dieser Zeit zu sehen.
Manche werden nun behaupten, das erinnere an die sehr unterschiedlichen Phänomene, die heutzutage leichthin und oft unpassend mit dem Schlagwort Cancel Culture bedacht werden. Wir kennen die Proteste gegen Künstler – ja, hier passt die männliche Form zumeist –, die einmal oder mehrfach überführt wurden, Machtverhältnisse für Übergriffe ausgenutzt zu haben. Zurecht wird zusehends nicht mehr akzeptiert, bei Verbrechen wegzusehen, weil der Täter so ein genialer Meister seines Faches ist. Sicher ist es wichtig, patriarchale Sichtweisen zu thematisieren und andere zu ermöglichen. Zugleich erklingen auf sozialen Medien immer wieder Boykottaufrufe gegen Personen, die durch eine einzige Äußerung in den Verdacht geraten, sie würden Diskriminierung und Hass befördern. Zuweilen wird sogar gefordert, Anstößiges dürfe nicht mehr ins Museum gehängt werden, etwa die Darstellung kindlicher Erotik bei Egon Schiele oder Balthus. Manche wollen das Werk einer Person, die eine skandalöse, rassistische, nationalistische oder sexistische Meinung vertritt, nicht akzeptieren, nicht würdigen oder gar mit Preisen bedenken, selbst wenn diese Positionen mit dem, was in diesen Arbeiten ausgedrückt wird, wenig zu tun haben. Zu beobachten ist derzeit eine vielfältige, teils widersprüchlich gegenläufige und zweischneidige Dynamik: Während offen rassistische Verschwörungsmythen gesellschaftlich an Macht gewinnen, auf Massendemonstrationen Tausende mit gelben Judensternen durch die Straßen ziehen und das Gedenken an die Opfer der Vernichtung verhöhnen, wird gegen kleinere Unstimmigkeiten im eigenen Umfeld, teils rigider miteinander umgegangen. Es herrscht ein Diskurs wechselseitiger Verdächtigungen, bei dem oft unterstellt wird, das Gesagte sei gar nicht das Gemeinte.
Es braucht aber keine neuen Begrifflichkeiten und keine Zensurgesetze, um nazistischen Positionen keine Bühne zu bieten. Eine sogenannte Cancel Culture ist nicht notwendig, um zu meinen, die Arbeiten, die für die Reichskulturkammer entstanden, verdienten es nicht als reine Kunst im Museum gewürdigt zu werden. Dezidiert falsch wäre es, alles abzulehnen, was aus der Ära des „Dritten Reiches“ stammt, denn dann müssten sogar jene, die im Widerspruch zum Regime blieben, unter so ein Kollektivurteil fallen. Es wäre fatal, die Werke jener, die der nazistischen Ästhetik folgten, mit denjenigen gleichzusetzen, die – wie etwa Josef Hoffmann – sich aus opportunistischen Gründen politisch anpassten. Ganz anders wiederum ist es bei Albert Paris Gütersloh, der zwar früh vom Nationalsozialismus begeistert war, doch dessen Kunst als „entartet“ galt. Es gab aber auch solche, die sich nicht anbiederten, sondern nur ihre Arbeiten fortführten – wie etwa Josef Dobrowsky. Es wäre geradezu absurd, das Werk eines Josef Hoffmann auf jene Zeit zu reduzieren. Wieso sollte aber, was für ihn gilt, nicht auch für andere stimmen? Hat nicht jede Person das Recht, sich politisch und künstlerisch weiterzuentwickeln? Sollen nun alle über einen Kamm geschert werden, ohne die Einzelnen in ihrer widersprüchlichen Entwicklung wahrzunehmen? Wäre das nicht die bloße Umkehr nazistischer Logik? Muss nicht jeder einzelne Fall in seiner Unterschiedlichkeit wahrgenommen werden? Was wäre gewonnen, wenn ein Generalurteil gefällt wird?
So ein Vorgehen erinnert an die einzelnen Forderungen, nun die ganze russische Kunst wegen der Kriegsverbrechen unter Putins Führung ablehnen zu wollen. Damit würden wir auch jenen in den Rücken fallen, die den Mut aufbringen, gegen den Kreml und gegen die nationalistische Logik des Krieges ihre Stimme zu erheben. Moderne Kunst braucht im heutigen Russland vielmehr Unterstützung und Solidarität, denn sie gilt seit mehreren Jahren schon als verwestlicht. Die Aktionskünstlerin Darja Apachontschitsch geriet wegen Auslandshonoraren unter Druck und ihr blieb nichts anderes übrig, als zu emigrieren. Seit Ende 2021 müssen Mitglieder des feministischen Punkkollektivs Pussy Riot sowie der bekannte Moskauer Galerist Marat Gelman deklarieren, „Auslandsagenten“ zu sein – sonst drohen Strafzahlungen. Nicht weniger krude klingen die Parolen der Bewegung BDS (Boykott, Desinvestition und Sanktionen), die gegen die Einladungen und Auftritte aller israelischen Künstler und Künstlerinnen ankämpfen, was übrigens insbesondere regierungskritischeren Kreisen schadet, nichts zum Friedensdialog beiträgt und zudem nicht selten einen antisemitischen Diskurs auch noch bestärkt. Ja, der leidenschaftliche Wunsch mancher, die Werke einer ganzen Nation unter einem Bann zu stellen, erinnert eher an jenen Ungeist, den einige dieser Engagierten zu bekämpfen vorgeben.
Bei der Frage, wie mit den Werken umgegangen werden soll, die der Nazizeit entspringen, geht es nicht darum, die nazistische Ästhetik vor dem Publikum zu verstecken oder zu boykottieren. Unmöglich wäre es, die Bestände aus dieser Epoche in eine Endlagerstätte zu verstauen, als wäre es radioaktives Material, das für die nächsten Jahrtausende weggesperrt werden muss. Nein, der Sarkophag hat Risse. Schlimmer noch. Längst geht es nicht mehr nur um die Strahlungen einer kontaminierten Vergangenheit. Um das zu erkennen, muss nicht erst an den Lieblingskünstler des freiheitlichen Politikers und einstigen Bundespräsidentschaftskandidaten Norbert Hofer erinnert werden: Odin Wiesinger malt Soldaten in der Schlacht, Landser mit Wehrmachtshelm, Burschenschafter in Montur und eine seiner Bilderserien heißt: „Endsieg“. Die Versatzstücke der faschistischen Genres und Stilelemente finden sich auch in der Gegenwart wieder– nicht nur im Kino, in der Mode, doch auch in kitschigen Kopien.
Der Aufstieg rechtsextremer Kräfte prägt unsere Gegenwart. Rassistisch autoritäre Bewegungen sind in vielen Ländern im Aufwind. In der Pandemie wird – teils mit alten antisemitischen Klischees – gegen Wissenschaft und Aufklärung gehetzt. Unterdessen sind wir Zeugen eines militärischen Überfalls. Ganze Städte werden niedergemacht. Die Zivilgesellschaft wird zum Ziel des Mordens.
Die kritische Auseinandersetzung mit den Beständen aus der Ära des NS-Regimes ist umso wichtiger. Es gilt, sie – in all ihrer Verschiedenheit – nicht zu verstecken. Sie können nicht weggeräumt oder verramscht werden. Sie sind Teil jener Vergangenheit, deren Erinnerung allseits beschworen wird. Der Kampf gegen jene Barbarei, die sich einst dafür rühmte, die Schriften und die Kultur der Feinde auszulöschen, kann nicht gewonnen werden, wenn diese Logik nur widergespiegelt wird.
Die Frage ist nicht, ob die Kunst, die jenem Regime sich andiente, zu sehen ist, sondern auf welche Art sie vorgeführt wird. Es geht nicht darum, sie als Kunst unter anderen Kunstrichtungen und Epochen einzuordnen, auch nicht als schiere Provokation oder in geschmäcklerischer Beliebigkeit, sondern die Chance wäre, sie als Objekt zur Sensibilisierung und sie als Anschauungsmaterial zu nutzen. Dabei wird es immer darum gehen, wie die Exponate angeboten sind. Welche Inszenierung wird gewählt, um zu verdeutlichen, woher sie stammen und was ihr eigentlicher Zweck war? Verfehlt wäre, zu glauben, sie seien ohnehin schon zu alt, um noch ihre Wirkung entfalten zu können. Es ist im Gegenteil eher so, dass jene Generation, die den Nationalsozialismus und den Weltkrieg überstanden hatte, noch wissen konnte, wie verlogen die damaligen Darstellungen letztlich gewesen waren. Sie hatte es am eigenen Leib erfahren und diese Lektion steckte vielen später noch in den Knochen. Jüngere Generationen stehen unbeleckt vor den Exponaten. Nur anhand dieser Werke kann erklärt werden, wofür sie missbraucht wurden, was faschistische Ästhetik einst war und wo sie heute wieder zu finden ist.
Diese Kunst nazistischer Ästhetik wurde von Anfang an als totalitäre Gegenkunst, als vollkommene Verneinung dessen, was freie Kunst sein will, entwickelt. Die Kunst der Reichskulturkammer sollte keinen Platz mehr lassen für eine Kunst, die das Menschliche zum Ausdruck bringt, denn sie war Teil jener Apparatur, die sich angeschickt hatte, alles Menschliche auszumerzen. Das war ihr Konzept. Die Lagerbestände dieser Gegenkunst zu präsentieren, bedeutet, sie in ihren Kontext zu stellen. Sie ist Beweismittel im Verfahren. Diese Gegenkunst ist als Tatwaffe gegen die freie Kunst und gegen das Leben von Millionen eingesetzt worden. Sie kann allenfalls dafür dienen, Objekt zur Sensibilisierung gegenüber den neuen Gefahren zu sein. Aber eben deshalb ist es wichtig, sie nicht so aufzufahren, als ginge es um einen Kunstgenuss unter verschiedenen anderen, vielmehr kann mit diesen Exponaten die Funktion dieser Produktionen im totalitären System und angesichts seiner Verbrechen bloßgestellt und die Monstrosität, doch auch die Banalität des Monströsen verdeutlicht werden. Diese Einzelstücke können nur noch im Widerspruch zu den Intentionen ihrer Entstehungsbedingungen verstanden werden.